Unbekannte Gesichter im Stadtteil.
Manchmal denke ich mir, unser Stadtteil ist wie ein großes Dorf. Viele Menschen sind mir bekannt, andere kenne ich nur „vom Sehen her“. Viele sind mir wie gute Bekannte, obwohl ich nicht einmal ihren Namen weiß. Aber ich bin mir sicher, irgendwie gehört sie oder er hier in diesem Stadtteil auch dazu. Sie geht zum gleichen Discounter, kauft im gleichen Laden Blumen, bedient den Geldautomaten, den ich auch benutze, sitzt in dem Bus, der mich auch nach Hause bringt. Sie oder er gehört ein wenig zu mir, ist Teil meiner Heimat. Wenn sich unsere Blicke treffen, grüße ich sehr oft. Meist kommt ein Gruß zurück.
Und dann sehe ich Passanten, die mir fremd sind. Das Gesicht habe ich noch nie gesehen. Jemand, der neu im Stadtteil wohnt? Wer mag das sein? Wenn sie oder er über den Thingersplatz läuft oder am Kunstrasenplatz mit anderen Jugendlichen spielt, wird er wohl auch zu uns gehören… Gesichter mit anderer Hautfarbe fallen mir besonders auf. Manchmal sind sie für mich ein ungewöhnlicher Anblick. Jemand, der in Deutschland Asyl gefunden hat und hier jetzt endlich und zufällig eine eigene Wohnung bekam?
In der nächsten Zeit werden wohl auch in unserem Stadtteil viele von ihnen hier ihre „fremde Heimat“ finden. Die Kinder werden wohl Platz in einer Kindergartengruppe haben oder in die Nordschule gehen. Wie mögen sie sich fühlen zwischen so vielen fremden Weißen? Sitten, die sie noch nicht kennen, Geschäfte, die sie noch nie betreten hatten, Geschriebenes, was sie nur mit großer Mühe entziffern können, Bürokratie, die für sie unverständlich ist. Werden sie diesen Stadtteil als „ihre Heimat“ erleben?
Auf jeden Fall grüße ich sie. Ich sehe in ein offenes, fragendes Gesicht. Hoffentlich spürt dieser Fremde, dass er hier willkommen ist.
Wolf Hennings
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von Joh[ann] Bapt[ist]. Haggenmüller
Erscheinungsjahr- 1847